Autorin: Ebru Tepecik
Vielfalt begegnet und begleitet uns im Alltag, in individuellen, sozialen und kulturellen wie auch in beruflichen Kontexten. Organisationen und Institutionen in Wissenschaft, Wirtschaft, Bildung sowie im Kunst- und Kulturbereich stehen vor der Aufgabe, bestehende und wachsende Diversität und den konstruktiven Umgang damit aktiv zu gestalten. Dabei geht es einmal darum, den unterschiedlichen Ansprüchen von Vielfalt in einer inklusiven Art gerecht zu werden, und zum anderen darum, die Chancen und Potenziale von Vielfalt zu erkennen und zu nutzen.
Ein Ausschnitt dieser Vielfalt bildet sich auch zahlenmäßig wie folgt ab: Mit rund 83 Millionen Menschen ist Deutschland die bevölkerungsreichste Nation der Europäischen Union – und auch eine der vielfältigsten. Etwa 22,3 Millionen Menschen in Deutschland haben eine Zuwanderungsgeschichte. 7,9 Millionen Menschen leben mit einer schweren Behinderung.
Es gibt über 439 religiöse Gemeinschaften: Laut REMID existierten 2016 insgesamt 351 Gemeinschaften, Gruppen und Bewegungen sowie 88 spirituelle, esoterische Verbände. Und 7,4 Prozent der Bevölkerung in Deutschland bezeichnen sich laut Dalia Studie (2016) als LGBTQI*: lesbisch, schwul (engl. gay), bisexuell, transsexuell, transgender, queer und intersexuell. Das sind rund sechs Millionen Menschen.
Vielfalt ist noch kein Wert an sich, sondern muss aktiv gestaltet werden. Deshalb braucht es Diversity Management.
‘Diversity‘ lässt sich aus dem Englischen mit Diversität, Vielfalt oder Verschiedenheit übersetzen. Vielfalt bezieht sich auf Lebenslagen von Menschen und beschreibt deren Unterschiedlichkeiten und Gemeinsamkeiten.
Menschen haben unterschiedliche Identitäten, Lebenslagen – beispielsweise in Bezug auf Bildung und Einkommen, Herkünfte (nationaler, regionaler und kultureller Art) – unterschiedliche religiöse und politische Orientierungen, dazu bestimmte Fähigkeiten. Aber sie haben auch Gemeinsamkeiten wie Geschlecht, Alter oder Interessen. Die Diversität von Menschen spielt in allen Lebensbereichen eine Rolle, im beruflichen wie auch im privaten Alltag.
Häufig ist in der Literatur in Bezug auf Diversität die Rede von den ‘Big Six‘, den sechs sogenannten Kerndimensionen von Vielfalt: Geschlecht, ethnische Herkunft, Alter, Behinderung, religiöse/weltanschauliche Orientierung, sexuelle Orientierung. Auf Initiative der Charta der Vielfalt wurde diese Dimensionen im Februar 2021 um eine zusätzliche Dimension erweitert, die soziale Herkunft.
Das Modell der vier Ebenen von Diversität („Four Layers of Diversity“) nach Gardenswartz und Rowe (2003), zusammengefasst im sogenannten Diversity-Rad, stellt aufgrund seiner Anschaulichkeit eine weit verbreitete Möglichkeit dar, Diversitätsdimensionen in Organisationen/Unternehmen sichtbar zu machen.
Im Zentrum dieses mehrschichtigen Modells steht das Individuum bzw. die Persönlichkeit. Unmittelbar im Kreis um die Persönlichkeit herum sind die nahezu unveränderbaren Eigenschaften einer Person angeordnet, die sogenannten Kerndimensionen. Diese haben den größten Einfluss auf Ein- oder Ausgrenzungsmechanismen. Nach außen hin folgen die äußere sowie die organisationale Kreisebene. Je weiter eine Eigenschaft vom Kern des Modells entfernt ist, desto flexibler und wandelbarer ist sie. Dies spielt jedoch für den Stellenwert der Dimension keine Rolle. Jede Dimension ist genauso wichtig wie die andere. Die Erscheinungsformen von Diversität können je nach Kontext variieren und unterliegen einem zeitlichen Wandel.
Quelle: https://www.charta-der-vielfalt.de/fuer-arbeitgebende/vielfaltsdimensionen/
Diversity Management ist ein Steuerungsinstrument für Organisations- und Personalentwicklung, das einen bewussten und wertschätzenden Umgang mit Vielfalt sowie eine Weiterentwicklung der Organisationskultur fördert.
Diversity Management ist keine Minderheitenpolitik, kein Einzelprojekt und auch kein Sonderprogramm für einzelne Gruppen. Es funktioniert nicht nach dem Motto: „Machen wir ein paar Förderangebote für unsere internationalen Mitarbeitenden“ oder „Machen wir ein Programm zum Nachteilsausgleich für Beschäftigte mit Beeinträchtigungen“. Vielmehr geht es in diesem Veränderungsprozess um Alle und jede*n Einzelne*n, und um einen gemeinsamen Lern- und Entwicklungsprozess für einen positiven und produktiven Umgang mit Vielfalt.
Diversity Management ist eine langfristig angelegte Strategie zur Veränderung von Organisationsstrukturen und ‐kulturen in der Wechselwirkung von Maßnahmen, die top-down (von der Leitungsebene aus) und bottom-up (von der Arbeitsebene aus) unternommen werden.
„Uns geht's ums Ganze – Diversity Management im Kulturbetrieb“: Unter diesem Titel entsteht bei uns zur Zeit ein neuartiges Diversity-Audit für Kultureinrichtungen.
Die Repräsentation und Sichtbarkeit gesellschaftlicher Vielfalt in allen gesellschaftlichen Teilbereichen ist für den Kunst- und Kulturbereich von höchster Bedeutung.
Vielfalt ist gerade für den Kunst- und Kulturbereich ein vielversprechender Motor für kreative, innovative Impulse und künstlerische Visionen. Der Zugang zu Kunst und Kultur und die Kulturelle Teilhabe möglichst aller Bevölkerungsgruppen ist nicht nur eine längst fällige gesellschaftspolitische Notwendigkeit. Es geht dabei auch um die Frage der Zukunftsfähigkeit von Kultureinrichtungen, die sich auf die gesellschaftliche Realität und deren Wandel einstellen müssen. Deshalb ist eine diversitätsgerechte Öffnung und Aufstellung von Kultureinrichtungen in den Bereichen Programm, Publikum und Personal (die klassischen 'Drei Ps') zukunftsweisend.
An dieser Stelle ist eine Ergänzung der 'Drei Ps' angebracht, nämlich ein 'P' für Priorität (Agenda Setting) und ein 'P' für Politik (als interne Politik von Kultureinrichtungen und als externe kulturpolitische Ebene): Diversity Management erfordert eine entsprechende Priorisierung als strategische Leitungsaufgabe sowie eine konkrete und nachhaltige Politik bzw. Strategie nach innen. Von außen werden begünstigende Rahmenbedingungen und Vorgaben der kulturpolitischen Ebene benötigt. Eine diversitätsgerechte Öffnung muss mit einem strukturellen Transformationsprozess einhergehen, im Sinne einer nachhaltigen Organisationsentwicklung hin zu Diversität als Querschnittaufgabe.
Vor wenigen Jahren (ab 2018) starteten einige Förderprogramme auf Bundes- und Landesebene, die Transformationsprozesse im Sinne einer diversitätsgerechten Öffnung unterstützen. Zu nennen sind hier exemplarisch das Bundesprogramm „360 Grad – Fonds für Kulturen der neuen Stadtgesellschaft“ der Kulturstiftung des Bundes sowie die bundesweite Ausschreibung „(K)ein Kunststück. Diversität im Kulturbetrieb“ der Anne-Frank-Bildungsstätte. In Nord-Rhein-Westfalen gibt es den Diversitätsfonds NRW aus dem landesweiten Gesamtkonzept „Diversität und Teilhabe in Kunst und Kultur“. In Baden-Württemberg ist das Landesprogramm „Diversität als Aufgabe: Öffnung von Kultureinrichtungen“ des Forums der Kulturen Stuttgart e.V. zu nennen.
Als ein weiterer Akteur sollte hier auch das Berliner Projektbüro für Diversitätsentwicklung „Diversity Arts Culture“ Erwähnung finden. Es ist als Teil der Stiftung für Kulturelle Weiterbildung und Kulturberatung eine Konzeptions- und Beratungsstelle für Diversitätsentwicklung mit vielfältigen Angeboten für den Kulturbetrieb.
Genauso engagieren sich viele einzelne Einrichtungen im Kunst- und Kulturbereich mit unterschiedlichen Projekten und Maßnahmen mit Fokus auf die Handlungsfelder Programm, Personal und Publikum für eine Diversifizierung.
Der Kunst- und Kulturbereich hat sich auf den Weg zu mehr Diversität gemacht, auch wenn der Weg noch lang und herausfordernd ist.
„KulturDivers – Der Podcast zu Kultur und Diversität der Kulturstiftung des Bundes“ ermöglicht detaillierte Blicke in viele Aspekte auf dem weiten Feld der Diversity.
Dieser Trailer gibt einen ersten Überblick, und wir laden Sie ein, sich alle „KulturDivers“-Folgen in Ruhe anzuhören.
Hier finden Sie einige Erklärvideos der Landeszentrale für Politische Bildung Baden-Württemberg. Darin geht es um die gesetzlichen Vorgaben sowie um Fragen der gesellschaftlichen Verankerung von Diversity. Außerdem gibt es Praxisbeispiele für Prozesse der Diversity-orientierten Organisationsentwicklung.
Jil Perlita Baarz, Sarah Stoll (2023): Diversity und Gender in der Zivilgesellschaft: Zwei Diskussionsbeiträge. Teil 1. (Opuscula, 175-1). Berlin: Maecenata Institut für Philanthropie und Zivilgesellschaft. (letzter Zugriff am 08.08.2024)
Regine Bendl, Edeltraud Hanappi-Egger, Roswitha Hofmann (Hg., 2012): Diversität und Diversitätsmanagement. Wien: Facultas Verlag.
Charta der Vielfalt (Hg., 2017): Vielfalt, Chancengleichheit und Inklusion. Diversity Management in öffentlichen Einrichtungen. Berlin.
Charta der Vielfalt Über uns - Für Diversity in der Arbeitswelt (charta-der-vielfalt.de) (letzter Zugriff am 11.08.2023)
Charta der Vielfalt (2020): Studie Diversity Trends. - Für Diversity in der Arbeitswelt (charta-der-vielfalt.de) (letzter Zugriff am 11.08.2023)
Corina Christen, Walter Reimund (Hg., 2020): Diversity Trends. Die Diversity-Studie 2020. Berlin.
Kimberle Crenshaw (1989): Demarginalizing the intersection of race and sex: A black feminist critique of antidiscrimination doctrine, feminist theory and antiracist politics. University of Chicago Legal Forum 1: 139-167. (letzter Zugriff am 11.08.2023)
Dalia Research (2016): LGBT Population in Europe. (letzter Zugriff am 11.08.2023)
Susanne A. Dreas (2019): Diversity Management: Grundbegriffe, historischer Ursprung und Ansätze. Diversität in Organisationen des Sozialwesens. Konzepte zur Bearbeitung und zum Umgang mit Verschiedenheiten und Gemeinsamkeiten, Springer Verlag.
Lee Gardenswartz, Anita Rowe (1998): Managing Diversity – A Complete Desk Reference and Planning Guide. New York.
Sibylle Hardmeier, Dagmar Vinz (2007): Diversity und Intersectionality. Feminica Politica 2007/1: 23-33.
Siri Hummel, Laura Pfirter, Flavia Gerner (2023): Da ist Diverses möglich - Wege der Umsetzung von Diversität und Inklusivität in zivilgesellschaftlichen Organisationen (Opuscula, 174). Berlin: Maecenata Institut für Philanthropie und Zivilgesellschaft. (letzter Zugriff am 08.08.2024)
William B. Johnston, A.E. Packer (1987): Workforce 2000: Work and Workers for the 21st Century. Hudson Institute. (letzter Zugriff am 11.08.2023)
Cordula Meier, Karoline Spelsberg-Papazoglou (Hg., 2020): Heidi – Diversität in Kunst, Wissenschaft und Institutionen. Bielefeld: transcript.
Günther Vedder (2006): Die historische Entwicklung von Diversity Management in USA und in Deutschland. In: Gertraude Krell, Hartmut Wächter (Hg.): Diversity Management. Impulse aus der Personalforschung. München und Mering: Hampp: 1-22.
Die Charta der Vielfalt und ihre Umsetzungen in der Landesverwaltung Baden-Württemberg. (letzter Zugriff am 11.08.2023)
Empfehlungen der Universität Potsdam zum geschlechterinklusiven Sprachgebrauch
Wertebasierter Verhaltenscodex des Deutschen Bühnenvereins und des Bundesverbandes der Theater und Orchester. (letzter Zugriff am 11.08.2023)
Aktionsplan „Respektvoll Arbeiten in Kunst, Kultur und Medien“ des Deutschen Kulturrats. (letzter Zugriff am 11.08.2023)
Diversity Arts Culture: Broschüre „Wir hatten da ein Projekt. Diversität strukturell denken“. (letzter Zugriff am 11.08.2023)
Forum der Kulturen: Diversität als Aufgabe. Links und Materialien. (letzter Zugriff am 11.08.2023)
Kulturstiftung des Bundes: „Diversität als Zukunftsfaktor. Empfehlungen für eine nachhaltige Diversitätsentwicklung in Kulturinstitutionen aus dem Programm 360° – Fonds für Kulturen der neuen Stadtgesellschaft“. (letzter Zugriff am 11.08.2023)
Kulturpolitische Gesellschaft e.V.: Diversity Matters? Kulturpolitische Mitteilungen, Heft 172 × I/2021, Bonn (letzter Zugriff am 11.08.2023).
Dossier „Frauennetzwerke“ der Zeitschrift Politik und Kultur (letzter Zugriff am 01.09.2023).
Sammlung von praxisorientierten, freizugänglichen und kostenlosen Hilfestellungen rund um das Thema Diversität des Berliner Museumsverbands (letzter Zugriff 30.07.2024).
„Pronomen machen etwas aus!“ Webanwendung zum Umgang mit Pronomen (letzter Zugriff 07.08.2024)
Wörterbuch zur Orientierung für diversitätsorientierten Sprachgebrauch von DiversityArtsCulture (letzter Zugriff 04.10.2024)
Hier finden Sie einige relevante Anlaufstellen und Netzwerke zu Diversity und Antidiskriminierung in Baden-Württemberg:
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