Frühkindliche Kulturelle Bildung

Autorinnen: Astrid Lembcke-Thiel, Luisa Leppin

Zur Relevanz frühkindlicher Kultureller Bildung im Alter von 0-10 Jahren

Von Anfang an nehmen Kinder die Welt um sich herum mit allen Sinnen wahr – Töne und Klänge, Bewegungen und Muster, Farben und Lichter, Gerüche und Geschmäcke. Und schon die Jüngsten drücken sich mit allen Mitteln aus, die ihnen zur Verfügung stehen: mit Stimme, Körper und Bewegung, Mimik und Gestik oder auch mithilfe von Gegenständen. Das alles ist untrennbar mit dem Kindsein verbunden – und bildet somit eine wesentliche Grundlage für frühkindliche Kulturelle Bildung.

Kulturelle Bildung entspricht deshalb von Geburt an zentralen Bedürfnissen von Kindern und bietet ein besonderes Potenzial für Selbstausdruck, persönliche Entwicklung und Weltwahrnehmung. Sie ist eng verknüpft mit zentralen Anliegen einer zeitgemäßen Demokratiebildung und berührt Fragen von Inklusion, Meinungsvielfalt, Umgang mit Diversität oder Nachhaltigkeit. In hoher Qualität umgesetzt, leistet sie einen konkreten und wichtigen Beitrag für mehr Bildungsgerechtigkeit und stärkt das Miteinander.

Zentralen Bildungsorten wie Kitas, Familienzentren und Kulturorten kommen in diesem Kontext eine besondere Bedeutung zu, denn sie eröffnen vielfältige Räume, in denen sich frühkindliche Kulturelle Bildung mit allen Akteur*innen leben und weiterentwickeln lässt.

Sieben gute Gründe für frühkindliche Kulturelle Bildung

Es gibt viele gute Gründe für die Förderung frühkindlicher Kultureller Bildung. Das bundesweite Netzwerk Frühkindliche Kulturelle Bildung hat sieben davon in ihrem Grundsatzpapier zusammengefasst:

Frühkindliche Kulturelle Bildung…

…vergrößert und differenziert die Vielfalt kindlicher Wahrnehmungs-, Handlungs- und Ausdrucksformen,

...ermöglicht Kindern mannigfaltige Erfahrungen mit sich selbst und von Selbstwirksamkeit,

...schafft Reflexions- und Dialoganlässe mit Kindern und unterstützt Sprachbildung,

...eröffnet Kindern vielfältige Zugänge zu Kunst, Kultur, Gesellschaft und Welt und fördert Teilhabe,

...stärkt das soziale Miteinander in einer durch Diversität geprägten Gesellschaft,

...vermittelt Strategien zur Erschließung von Welt jenseits bekannter Normen und...

...trägt zur Qualitätsentwicklung pädagogischer Praxis und Einrichtungen bei.

(Quelle: 7 gute Gründe für die Förderung frühkindlicher kultureller Bildung)

Wo findet frühkindliche Kulturelle Bildung statt?

Der Praxis frühkindlicher Kultureller Bildung liegt ein weiter Kulturbegriff zugrunde, der neben den Künsten auch Alltags- und Subkulturen mit einbezieht. Davon ausgehend findet frühkindliche kulturelle Bildungspraxis an vielen Orten statt:

  • Der Familienalltag ist ästhetisch-kultureller Alltag und umfasst vielfältige kulturelle Praktiken wie das Vorlesen, gemeinsames Singen, kreative Aktivitäten und den Umgang mit digitalen Medien. Dazu zählen auch Rituale, Feste und Esskultur, die Kindern einen reichen Schatz für ästhetisch-kulturelle Erfahrungen bieten.
     
  • Der zweite Ort ist die Kita, die die meisten Kinder besuchen. Frühkindliche Kulturelle Bildung ist auch hier Alltagspraxis und findet täglich statt. Dazu gehören nicht nur Besuche von Kulturveranstaltungen und -orten, künstlerische Projekttage oder regelmäßige Kreativangebote. Vielmehr nutzen Kitas auch gezielt Rituale, Musik, Rhythmus und Bewegung oder ermöglichen in Phasen des freien Spiels und Gestaltens den forschenden Umgang mit unterschiedlichsten Materialien.
     
  • Der Sozialraum ist vielfältig und reicht von Natur- und Freiräumen wie Wäldern und Skateparks bis hin zu klassischen Kulturstätten wie Theatern, Museen oder Konzerthäusern. Zudem gehören Bibliotheken, Vereine, Medienwerkstätten und andere Bildungsorte dazu, die kulturelle Erfahrungen fördern.

 

Eine große Muppet-artige Puppe mit buntem Feld und gelben Kulleraugen liegt auf einem roten Teppich zwischen großen Vorhängen.
Bild: Lucas Ziegler

Und was heißt das ganz konkret?

Frühkindliche Kulturelle Bildung kann an vielen Orten zu vielfältigen Anlässen stattfinden. Im Zentrum steht dabei die ästhetische Erfahrung, sei es mit Mitteln, die den klassischen Künsten zur Verfügung stehen oder sei es durch die ästhetische (Er-)Forschung des eigenen Umfeldes und Alltags.

Das Kennenlernen und Erlernen eines Instruments oder einer Bewegungsabfolge etwa im Tanz ist ein klassisches Beispiel. Aber auch ein tropfender Wasserhahn in der Kita kann künstlerisch anregend sein: Daraus lässt sich ein Rhythmus ableiten, der von Kindern und Erzieher*innen nachgeklatscht und erweitert wird. Kreative Fragen schließen sich an: Welche Alltagsgegenstände machen denn noch Geräusche? Wenn wir dieses Seidenpapier hier knüllen, knistert es besonders schön...

Kulturelle Bildung ist ein Kinderrecht

Kinder haben ganz explizit ein Recht auf Kultur. Dieses Recht ist weit mehr ist als nur ein Zugeständnis von erwachsenen Personen an das „Publikum von morgen“, weit mehr als nur ein Leitsatz der Kulturpädagogik der letzten 50 Jahre.

Artikel 31, UN-Kinderrechtskonvention:

  1. Die Vertragsstaaten erkennen das Recht des Kindes auf Ruhe und Freizeit an, auf Spiel und altersgemäße aktive Erholung sowie auf freie Teilnahme am kulturellen und künstlerischen Leben.
     
  2. Die Vertragsstaaten achten und fördern das Recht des Kindes auf volle Beteiligung am kulturellen und künstlerischen Leben und fördern die Bereitstellung geeigneter und gleicher Möglichkeiten für die kulturelle und künstlerische Betätigung sowie für aktive Erholung und Freizeitbeschäftigung.

Das freie Spiel und die Teilnahme am kulturellen und künstlerischen Leben werden hier nicht zufällig zusammen genannt: Freies Spiel in einem Sinne, wie es die frühkindliche Kulturelle Bildung verwendet und damit das Recht auf Kulturelle Bildung bekräftigt, ist immer auch ein Förderungs- und Entwicklungsrecht. Bereits junge Kinder finden und entwickeln einen eigenen kulturellen und spielerischen Ausdruck, stärken Selbstwirksamkeit und bringen dadurch ihre eigene Bildung weiter voran. Partizipation von jungen Kindern wird zu einem Schlüssel für Institutionen und Angebote der frühkindlichen Kulturellen Bildung.

Frühkindliche Kulturelle Bildung ist Querschnittsthema und Querschnittsaufgabe

Alle Kinder – unabhängig von Herkunft, Wohnort, sozialer Lage, Kultur- oder Kita-Angebot – müssen die Möglichkeit haben, frühe Erfahrungen mit Kunst und Kultur zu machen und von ästhetischen Auseinandersetzungen zu profitieren. Dies erfordert als gemeinschaftliche Aufgabe die Zusammenarbeit von Familien, Kindertagesstätten, Schulen, Kultureinrichtungen, kommunaler Verwaltung und Politik. Doch in Deutschland fehlen bisher systematische und strukturbildende Entwicklungen, die diesem Anspruch und der großen Bedeutung Kultureller Bildung im frühkindlichen Bereich Rechnung tragen.

Damit Kinder ihrem Entwicklungsstand entsprechend kulturelle und ästhetische Bildungserfahrungen sammeln können, sind bestimmte Rahmenbedingungen von Bedeutung:

•    Kinder sollten von früh an und durchgehend während ihrer Kindheit Zugang zu einem breiten kulturellen Bildungsangebot haben.

•    Dieses Angebot sollte flächendeckend, zuverlässig und kostengünstig zugänglich sein.

•    Kulturelle Bildung sollte an zentralen Orten des kindlichen Aufwachsens integriert sein.

•    Es bedarf spezieller Räume und Orte, die ästhetische Anregungen bieten.

•    Eine enge Zusammenarbeit und Vernetzung der Akteur*innen der frühen Bildung ist wichtig.

•    Die Qualität der Angebote sollte durch eine Verknüpfung von kindheitspädagogischen und ästhetisch-kulturellen Ansätzen gesichert werden, wozu qualifizierte Fachkräfte eine wesentliche Grundlage bilden.

Gute Praxis

Gute Beispiele für gute Praxis gibt es viele, stellvertretend werden hier drei vorgestellt:

Projekte und Programme

Hier finden Sie einige ausgewählte Programme mit Modellcharakter:

Handlungsmut und starke Lobby: Das bundesweite Netzwerk Frühkindliche Kulturelle Bildung

Hochwertige Angebote beziehungsweise eine etablierte Praxis frühkindlicher Kultureller Bildung ist nach wie vor eher die Ausnahme als die Regel. Abgesehen von einzelnen Modellvorhaben gilt das sowohl in Museen, Theatern, Opern- oder Konzerthäusern als auch an Kitas und anderen Einrichtungen der frühen Bildung und Betreuung.

Frühkindliche Kulturelle Bildung in Deutschland profitiert von einem klaren Bewusstsein für ihren besonderen Wert sowie von engagierten Entscheidungsträger*innen und einer unterstützenden Lobby, die Kinderrechte auch in Bezug auf Kulturelle Bildung und Teilhabe stärkt.

Das Netzwerk Frühkindliche Kulturelle Bildung versteht sich als gemeinsamer und verbindlicher Ort, an dem…

  • …Wissen, Kompetenzen und Aktivitäten bundesweit gebündelt werden,
     
  • Fachleute mit unterschiedlichen Perspektiven und Erfahrungen zusammenarbeiten,
     
  • eine starke Unterstützung für dieses wichtige Thema entsteht, die Kinder und alle Beteiligten einbezieht. 

Das Netzwerk – mittlerweile besteht es aus fast 300 Personen und Institutionen bundesweit – profitiert von der Multiperspektivität und Interdisziplinarität von Akteur*innen und Vertreter*innen aus Kunst, Kultur, Bildung, Wissenschaft und Politik, sowie von öffentlichen und privaten Fördergebenden. 

In diesem Verbund sind gebündelte Kompetenzen und Expertisen vorhanden, die den Fachdiskurs in Theorie und Praxis befördern.

Fazit

Für die jüngsten Mitglieder unserer Gesellschaft braucht es grundsätzlich das Wissen über den besonderen Wert frühkindlicher kultureller Bildung in Deutschland. 

Außerdem benötigen wir vor allem zwei Dinge: überzeugte und mutige Entscheider*innen auf allen Ebenen sowie eine lautstarke Lobby, die sich für die Verwirklichung ihrer Kinderrechte auch mit Blick auf kulturelle Bildung und Teilhabe einsetzt. 

Die Autorinnen

Astrid Lembcke-Thiel
Astrid Lembcke-Thiel ist freie Kuratorin für künstlerische Prozesse und forschende Künstlerin.
Luisa Leppin
Luisa Leppin leitet das Netzwerk Frühkindliche Kulturelle Bildung und ist zudem als Bildungsreferentin des Modellprojektes Kulturkita Hessen tätig.

Literatur und weiterführende Materialien

Literatur

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