Autorin: Malayika A. Mbassè
Der Kunst- und Kulturbetrieb ist im Wandel begriffen: Etablierte Kulturinstitutionen werden sich zunehmend bewusst, welche negativen Auswirkungen Alltagsrassismus und struktureller Rassismus in Museen, Theatern, Orchestern, der Film- oder Musikindustrie haben. Auch in den Hochschulen, den Ausbildungsinstitutionen für den Bereich Kunst und Kultur, kommt das – langsam – an. Während Menschen, die bestimmten Normen entsprechen, selbstverständlichen Zugang zu exklusiven Privilegien haben, erfahren andere, die dies nicht tun, Diskriminierung.
Folglich besteht bei Menschen, die im Kulturbetrieb tätig sind, und regelmäßig Diskriminierungserfahrungen machen, Stärkungsbedarf – ein Bedarf nach „Empowerment“: verschiedene Formen des Empowerments unterstützen sie dabei, Hürden und einschränkende Mechanismen im (Berufs)Alltag besser zu navigieren, Strategien der Neupositionierung des Selbst zu finden und erweiterte Möglichkeitsräume zu erschließen.
Ich bin selbst in den Communities der Schwarzen, Afrodiasporischen und Afrikanischen Communities in Deutschland verankert und aktiv, darunter als Künstlerin und Co-Organisatorin im African Open Mic Stuttgart (AOM) sowie im Black History Month Stuttgart. Das AOM ist, wie mehrere andere Kollektive, aus einer Regionalgruppe der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland Bund e.V. (ISD) in Stuttgart und Umgebung hervorgegangen. Den Black History Month Stuttgart gibt es seit 2023 als ein Kollektiv, das die Vielfalt der Schwarzen Kollektive, Vereine, Initiativen und Einzelkünstler*innen zusammenbringt und ein reichhaltiges Programm erstellt.
Praxisbeispiele stammen im Folgenden überwiegend aus den genannten, mir bekannten Bereichen.
„Power“ ist Stärke, Kraft oder auch Macht. Sich zu „empowern“ heißt, diese Kraft, Macht oder Stärke aktiv auszuüben, zu pflegen und zu nutzen. „Empowerment“ weist auf anhaltende Prozesse dieser (Selbst-)Ermächtigung hin, auf Errungenschaften und ein erfolgreiches Navigieren dieser Bestärkung.
Empowerment lässt sich historisch auf die soziopolitischen Bewegungen der 1960er Jahre in den USA zurückführen: die Widerstandsbewegung der Schwarzen Bevölkerung, die Friedensbewegung und die emanzipatorische Frauenbewegung. Empowerment entwickelte sich zum Begriff für kollektive Selbstorganisation, die auf politische Veränderungsprozesse einwirkte und sich sozialer Ungleichheit entgegenstellte.
Der Empowerment-Ansatz wird auch in psychosozialen Handlungsfeldern angewendet, wie in der Sozialen Arbeit oder in der Community Psychology („Psychologie der Gemeinschaft“). Hier wird einerseits Hilfe zur Selbsthilfe gefördert, andererseits werden Dynamiken von Gemeinschaften sowie systemische Wechselwirkungen einbezogen.
Selbstbezeichnungen wie „African-American“, „Afro-Europäisch“ oder „Schwarz“ spielen eine große Rolle in Empowerment-Prozessen. Den meist entwertenden Fremdbezeichnungen wurde die eigene Definitionsmacht über die eigene Identität entgegengestellt.
Beim Empowerment geht es um die Produktion, Aneignung und Vermittlung von Wissen, Können und Erfahrungen, indem allein oder in der Gemeinschaft gelernt, gedacht, gelesen und miteinander gesprochen, reflektiert oder geforscht wird. Empowerment-Erfahrungen finden am leichtesten in Gruppenzusammenhängen und in den jeweiligen Communities statt.
„Power“ ist Stärke, Kraft oder auch Macht. Sich zu „empowern“ heißt, diese Kraft, Macht oder Stärke aktiv auszuüben, zu pflegen und zu nutzen.
Empowerment wirkt einer anhaltenden Entkräftung sowie Verausgabung im alltäglichen Bereich und system(at)isch bedingter Ohnmacht entgegen. Diese Entkräftung und Verausgabung hängt mit Normalitätsansprüchen und Hierarchisierungen im Bereich der Werte, kulturellen Eigenschaften, ästhetischen Ausdrucksformen etc. zusammen. Menschen, die als „ausländisch“, nicht *weiß oder fremd gelesen werden, werden durch eine Brille von Stereotypen betrachtet, was Vorurteile im Bezug auf deren Fähigkeiten, Ausdrucksmöglichkeiten und Charakter auslöst – bei intersektionalen Gruppenzuschreibungen, etwa bei einer als Schwarz gelesenen Künstlerin mit körperlicher Behinderung, gleich mehrfach!
Dies führt bei Betroffenen zu psychologischen Auswirkungen, die als das Phänomen des Stereotype Threat bekannt sind. Diese (wörtlich übersetzt) „Bedrohung durch Stereotype“ schränkt die eigene Wahl-, Ausdrucks- und Bewegungsfreiheit ein, da Fremdzuschreibungen verinnerlicht werden. Stereotype Threat kann eine ständige Selbstüberprüfung verursachen, was sich einerseits in einer übermäßigen Anpassungsleistung zeigt, um negativen Stereotypen nicht zu entsprechen, oder zu einem Rückzug aus sozialen Räumen. Dabei kommt es häufig zu Schwierigkeiten in der Selbstentwicklung aufgrund „sich selbst erfüllender Prophezeiungen“.
So können sich strukturelle Zuweisungen oder Stigmatisierungen verfestigen und individuelle Potenziale unsichtbar werden, so dass beispielsweise berufliche Aufstiegschancen ganz real eingedämmt werden. Eine gleichberechtigte Ausübung autonomer Teilhabe und Selbstentfaltung wird so für bestimmte Menschen und Menschengruppen unmöglich. Dabei ist es ein menschliches Grundbedürfnis, sozial zugehörig zu sein. Die UNESCO definiert als Grundrecht, dass alle Menschen gleichberechtigten Zugang zu Kultureller Teilhabe haben. Und dafür bedarf es Empowerment.
Trotz aller Öffnungsbemühungen und Diversity-Anstrengungen der letzten Jahre bedürfen BIPoC-Personen, die im Kulturbereich tätig sind, weiterhin der Stärkung. Denn Teilhabemöglichkeiten zu ergreifen, erfordert auch ein dementsprechendes Selbstvertrauen und kollektive Unterstützung, die potenziell durch strukturelle Bedingungen untergraben werden.
Aus diesem Gedanken heraus entstand mit Förderung des Zentrums für Kulturelle Teilhabe Baden-Württemberg auch das Empowerment-Netzwerk Baden-Württemberg, wo BIPoC aus den Bereichen Kultur, Wissenschaft, Aktivismus und vielen anderen sich zusammenfinden, austauschen und unterstützen.
Das Empowerment-Netzwerk Baden-Württemberg verbindet Personen aus Kunst, Kultur, Wissenschaft und Aktivismus in Baden-Württemberg, die von rassistischen Machtstrukturen getroffen werden. Gemeinsam schaffen wir für uns einen Safer Space für Mut, Empowerment, Caring, Sharing und Healing. Unsere Arbeit richtet sich dabei immer nach unseren Bedürfnissen. Ziel ist es, unsere Erfahrungen und Perspektiven miteinander zu teilen und auch nach außen sichtbar zu machen.
Diversity steht für einen Wandel hin zu mehr Vielfalt auf Organisationsebene. Sie setzt auf Akzeptanz für eine vielfältigere Zusammensetzung der Belegschaft und der Zielgruppen einer Organisation.
Meine Perspektive auf diese bisherige Diversity-Orientierung ist allerdings, dass sie einseitig wirkt, denn sie konzentriert sich nicht auf die Stärkung der von Diskriminierung betroffenen Menschen. Schulungen, Trainings und Weiterbildungen sind für *weiße Mitarbeitende konzipiert. Nicht-*weiße Akteur*innen erhalten dagegen keine gesonderte Ansprache oder Unterstützung: Dafür sollen weiterhin vornehmlich *weiße Räume ausreichen.
Genau das sind für nicht-*weiße Menschen mit Rassismus-Erfahrung jedoch erfahrungsgemäß „un-sichere Räume“, da sie in *weißen Räumen häufig Mikroaggressionen erfahren und eingeschränkt sind: Innerlich durch den Stereotype Threat, strukturell durch Zuschreibungen und herrschende Machtverhältnisse. BIPoC benötigen über *weiße Räume hinaus Empowerment-Angebote in Form von sicheren Räumen: „Safe(r) Spaces“. Solche sicheren Räume stärken diejenigen, die Heil- und Entfaltungsräume benötigen, wo sie sich nicht fremdbewertet fühlen.
Empowerment-Angebote sollten darum nicht von nicht-Betroffenen angeboten werden, da das Machtgefälle sonst zur Stolperfalle des Konzepts wird und zu paternalistischer Hierarchisierung führen kann. Diversity und Empowerment können einander ergänzen, stehen aber in einem Spannungsverhältnis, das ich folgendermaßen charakterisieren würde:
Diversity (in Organisationen)
Empowerment (für BIPoC)
Im folgenden Diagramm sind Machtverhältnisse aufgrund von Merkmalen in verschiedenen Dimensionen in konzentrischen Kreisen dargestellt:
Safer Spaces tragen zur Unterstützung der emotionalen und psychischen Gesundheit marginalisierter Menschen bei, indem sie eine „Verschnaufpause“ vom Stereotype Threat bieten. So kann von einem Aufbau von Resilienz-, und Schutzfaktoren gesprochen werden, die Dauerstress, Angst, Selbstisolierung und emotionaler Erschöpfung entgegenwirken. Gerade mehrfachdiskriminierte Menschen finden in solchen Zusammenkünften wichtige Ruhepole und kreative Impulse.
In einer empirischen Studie über die „Auswirkungen von Aktivitäten von und innerhalb der Schwarzen Communities, im Bezug auf das Identitätsgefühl und Selbstbewusstsein“ habe ich festgestellt: Immer, wenn künstlerisches Arbeiten in Safer Spaces möglich ist, kommt es zu positiven, bestärkenden Erfahrungen die unter anderem als Heilungsräume und psychologischer Schutzraum beschrieben werden können.
In zahlreichen Interviews habe ich Wortbeiträge wie die folgenden immer wieder gehört:
„Um sozusagen aus der Minderheitserfahrung rauszukommen.“
„Seeing someone who looks like you doing something excellent and being an expert at something is very empowering.“
„We need a place where we teach our culture, where we share our culture. “
„Das macht nicht nur mit der einen Person was, sondern mit allen Schwarzen oder BIPoC Leuten, die dich grade sehen.“
„Es braucht Heilräume.“
Menschen im Kulturbetrieb arbeiten ohnehin häufig unter materiell und psychisch prekären Bedingungen. Diskriminierungserfahrung stellt für sie daher eine verstärkende, weitere Belastung dar. Darum ist ihr Empowerment ein essenzieller Resilienz-Faktor für Menschen, die von Diskriminierung im Kulturbetrieb betroffen sind.
Empowerment ist ein wichtiger Baustein, um Diversität und Teilhabe nicht nur als schmückendes Modewort auf die Fahnen des Kulturbereichs zu schreiben – sondern um für wirkliche Zugänge und gleichberechtigte Arbeits- und Gestaltungsmöglichkeiten zu sorgen.
Robbie Aitken (2022): Black Germany. Zur Entstehung einer Schwarzen Community in Deutschland. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 12/2022: 4-10. (letzter Zugriff am 15.11.2024)
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Creative Lab 3.0 (Hg.) (2023): Racialised Faces in white Creative Spaces. Ein Sammelband über Rassismus in der Kultur- und Kreativwirtschaft. edition assemblage.
Yasmine Chehata / Birgit Jagusch (Hg., 2020): Empowerment und Powersharing. Ankerpunkte – Positionierungen – Arene. Diversität in der sozialen Arbeit: Beltz.
Yasmine Chehata, Jinan Dib, Asmae Harrach-Lasfaghi, Thivitha Himmen, Ahmet Sinoplu, Nils Wenzler(2023): Empowerment, Resilienz und Powersharing in der Migrationsgesellschaft. Theorien – Praktiken – Akteur*innen. Diversität in der Sozialen Arbeit: Beltz.
Alice Hasters (2019): Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten: Hanser.
Norbert Herriger (2014): Empowerment in der Sozialen Arbeit. Eine Einführung: Kohlhammer.
Oliver Marchart (2008): Cultural Studies. UTB Kulturwissenschaft. Politikwissenschaft. 2883: Kohlhammer.
Marie Minkov (2021): Safe(r) Spaces. Eine Pause von der Welt. In: Zeitgeister – das globale Kulturmagazin des Goethe-Instituts. (letzter Zugriff am 15.11.2024)
Bonaventure Soh Bejeng Ndikung (2023): Every Straw Is a Straw Too Much: On the Psychological Burden of Being Racialized While Doing Art. (letzter Zugriff am 15.11.2024)
Olaf Neumann, Ralf Quindel (2023): Empowerment. Teil III, Grundlagen und Leitkonzepte. In: Asita Behzadi, Albert Lenz, Olaf Neumann, Ingeborg Schürmann, Mike Seckinger (Hg.): Handbuch Gemeindepsychologie. Community Psychology in Deutschland. Tübingen: DGVT.
Celia Parbey (2023): Ein Ort ohne weiße Menschen? Räume für Rassismusbetroffene. In: ze.tt, 15.06.2023. (letzter Zugriff am 15.11.2024)
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