Autorin: Caroline Assad
Schon in den 1960er Jahren kam der Soziologe Pierre Bourdieu auf die Idee, Daten über die Diversität in der Kultur zu erheben. In der Studie „L'Amour de l'art: Les musées d'art européens et leur public“ zeigt er mittels Befragungen, dass vor allem Besucher*innen aus sozio-ökonomisch privilegierten Hintergründen europäische Museen besuchen. Die Studie verfolgt Fragen nach den Disparitäten in sozialer Herkunft, die dazu führen, dass eben nur bestimmte Bevölkerungssegmente europäische Museen besuchen.
Heute gibt es mehr Bemühungen denn je, Daten im Kulturbereich zu erheben. Diese sollen eine Grundlage für strategisches kulturpolitisches Handeln liefern. In diesem Beitrag wird zunächst auf die Konjunktur im Datenmanagement in Kunst und Kultur eingegangen. Am Beispiel der Erhebung von Diversitätsdaten im Kulturbereich werden Fragen nach Methoden erörtert und abschließend Empfehlungen für die weitere Praxis abgeleitet.
Die Frage danach, wann Datenerhebungen tatsächlich aufschlussreich sind und wann sie eine Art Selbstzweck darstellen, ist in jedem Fall berechtigt.
Datenerhebungen jeglicher Art werden immer wichtiger in der Organisationsverwaltung und -entwicklung. So wird oft Wirkung anhand von Indikatoren gemessen und vor allem über quantitative Daten veranschaulicht. Steuerungssysteme beinhalten die Entwicklung messbarer strategischer Ziele sowie die Beobachtung und Evaluation von Indikatoren zu deren Erreichung.
Dies ist Teil einer Bewegung hin zu mehr datengeleitetem Handeln in der Organisationsentwicklung und spezifisch in der öffentlichen Verwaltung. So wird durch die Digitalisierung von Informationsbeständen ein umfassendes Datenmanagement ermöglicht. Organisationen sammeln Daten, analysieren und nutzen sie, um Entscheidungen transparenter, präziser und schneller zu treffen. So sollen Angebote optimiert und besser aufeinander abgestimmt werden. Die Frage danach, wann Datenerhebungen tatsächlich aufschlussreich sind und wann sie eine Art Selbstzweck darstellen, ist aber in jedem Fall berechtigt.
Im folgenden Abschnitt werden die wichtigsten statistischen Datenquellen für Kunst und Kultur in Deutschland kurz aufgelistet und hinsichtlich ihres methodischen Vorgehens vorgestellt.
Das Projekt „Bundesweite Kulturstatistik“ im Auftrag der Kultusministerkonferenz (KMK) und der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) ist eines der wichtigsten Datenerhebungsinstrumenten in der deutschen Kulturlandschaft. In diesem Projekt wird Datenmaterial aus verschiedenen Institutionen und Verbänden ausgewertet, nach Sparten differenziert, aufbereitet und zur Verfügung gestellt. Hier werden unter anderem Daten zu Ausgaben, Besucher*innen-Zahlen sowie Angaben zum Zeitaufwand für kulturelle Aktivitäten dargestellt.
Die Statistischen Ämter des Bundes und der Länder erheben Daten zu den öffentlichen Ausgaben für Kultur und werten diese nach Kulturbereichen und Körperschaftsgruppen aus. Für einzelne Länder und Regionen gibt es verschiedene Quellen, die hier eine Bündelung von Daten vornehmen. Die Publikation „Kulturindikatoren auf einen Blick“ verschafft hier einen spartenübergreifenden Überblick im Ländervergleich.
Diese deskriptiven Daten liefern sicherlich eine Grundlage für politische Diskussionen und zeigen den Stellenwert von Kunst und Kultur in der Gesellschaft. Dennoch können sie keine tieferen Einblicke in Einstellungen, Bedarfe, Verhaltensmuster und/oder Lebenssituationen von Beschäftigten oder Besucher*innen der Branche geben.
Zu einzelnen Branchen gibt es wiederum differenziertere Datenquellen, so geht das Institut für Museumsforschung in die Tiefe und erhebt, zu besonderen Fragestellungen quantitative und qualitative Daten, beispielsweise zur Digitalisierung oder zum immateriellen Kulturerbe in Museen.
Unmittelbar nach der Corona-Pandemie gab es 2020 eine Umfrage von ver.di, die Daten zur sozialen und wirtschaftlichen Lage von Künstler*innen und Kulturschaffenden erhoben und analysiert hat. Die Ergebnisse liefern ambivalente Erkenntnisse hinsichtlich des Geschlechts, des Berufes und der Sparten. Die Ergebnisse wurden unter anderem in einer Publikation des Deutschen Kulturrats veröffentlicht.
Forschung zur Teilhabe und Partizipation in Museen betreibt in herausragender Weise das Institut für kulturelle Teilhabeforschung (IKTf) in Berlin; mehr Informationen dazu folgen unten.
Interkulturelle Öffnung liefert Legitimation und ein Vorbild, ist aber auch funktional notwendig.
Genauso wie sich eine Konjunktur im Datenmanagement beobachten lässt, so lässt sich ebenfalls eine Bewegung hin zum Diversitätsmanagement in Organisationen beobachten.
Die in einer Organisation bereits vorhandene ebenso wie die angestrebte Vielfalt wird dabei mehrdimensional und diskriminierungskritisch definiert und gefördert.
Die Bewegung hin zu einer interkulturellen Öffnung in der öffentlichen Verwaltung hat verschiedene Gründe und Funktionen (Ette et al. 2021). Sie liefert Legitimation ebenso wie ein Vorbild, ist aber auch funktional notwendig:
Auch Diversität kann mittels Datenerhebungen gemessen, bewertet und sichtbar gemacht werden. Den Status Quo in der eigenen Einrichtung zu verstehen, ist die Voraussetzung, um passende Diversitätsmaßnahmen zu entwickeln. Damit sind Studien gemeint, die die Diversität im Programm, in der Förder- und in der Beschäftigten- und Besucher*innen-Struktur beschreiben sollen. Schon längst Routine in großen Kulturinstitutionen im angelsächsischen Raum, wird diese Praxis ganz langsam relevant im deutschsprachigen Raum.
Aikins et al. (2020) argumentieren, dass strukturelle Diskriminierung erst mit Datenerhebungen wirklich deutlich und genauer auf die ihr zugrunde liegenden Mechanismen untersucht werden kann. Im Kulturbereich, so die Autor*innen, werde Internationalität oft mit Diversität gleichgesetzt. Dazu die Autor*innen: „So wird beispielsweise selten die Frage gestellt, inwiefern Ableismus, also die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen, sich auf den Kulturbetrieb auswirkt oder inwiefern die Perspektiven von Künstler*innen of Colour vertreten sind.“
Oben wurden die wichtigsten Datenerhebungen im deutschsprachigen Kulturbereich kurz vorgestellt. Wie sieht es nun mit Daten speziell zur Diversität aus?
In der Studie zur Diversität in Förder- und Kooperationsstrukturen der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik (AKBP) untersucht das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) anhand von qualitativen und quantitativen Methoden die Diversität in der AKBP auf verschiedenen Ebenen: Einerseits als Unterschiede personenbezogener Merkmale, angelehnt an das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Andererseits wird die Diversität in ihrer organisationalen Verankerung definiert. Hierzu gehören beispielsweise Diversitätsstrategien, Diversitätsbeauftragte oder Beschwerdestellen.
(Vgl. Zajak et al. 2023: 20-25)
Die Organisation Diversity Arts Culture spielt seit Jahren eine bedeutende Rolle im Berliner Kultursektor. Sie ist beratend für die Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt tätig und plädiert seit längerem dafür, dass Datenerhebungen unerlässlich sind, um Repräsentationslücken und Ungleichheiten aufzuzeigen. In ihrem Auftrag führte Citizens for Europe sämtliche Befragungen und Expertisen zur Diversität im Kulturbetrieb durch.
So wurden in einer Nichtbesucher*innen- und Nichtakteur*innen-Befragung mittels qualitativer Fokusgruppen die Gründe erforscht, warum sich Menschen weniger angezogen fühlen durch die Angebote von Kultureinrichtungen –aber auch, wie sie aktiv von beruflichen Perspektiven im Kulturbetrieb ausgeschlossen werden. In einer Expertise aus dem Jahr 2016 definiert Citizens for Europe aufgrund von Interviews mit Führungskräften und Akteur*innen im Kulturbetrieb die „Dos und Don’ts“, um die Diversität im Kulturbetrieb voranzutreiben.
Das Institut für Kulturelle Teilhabeforschung (IKTf) verfügt mit dem KulturMonitoring (KulMon) über Daten aus zahlreichen Befragungen in Kulturinstitutionen. Es entwickelt standardisierte Befragungen, die in verschiedenen Einrichtungen durchgeführt werden. Im Fragenkatalog enthalten sind Fragen, die dabei helfen sollen, Milieus für die Besucher*innen zu identifizieren.
Die Erhebung von quantitativen Diversitätsdaten setzt voraus, dass beispielsweise Mitarbeitende bei einer Datenerhebung freiwillig und anonymisiert mitmachen. Sie setzt aber auch voraus, dass die Größe der Stichprobe groß genug ist, sodass keine Rückschlüsse auf einzelne Mitarbeitende gezogen werden können. Beide Voraussetzungen sind nicht einfach zu erfüllen.
Neben den datenschutzrechtlichen und ethischen Herausforderungen besteht die viel größere Gefahr darin, dass solche Datenerhebungen erst recht soziale Gruppen aufgrund von sogenannten Identitätsmerkmalen konstruieren und verfestigen.
Dass Diversität eine Realität darstellt in unserer Gesellschaft, und dass unsere Institutionen diese spiegeln und leben müssen, erklärt sich von selbst.
Das Interesse an Diversitätsdaten kann aus der Motivation heraus erfolgen, Ungerechtigkeiten und Repräsentationslücken aufzuzeigen. Es kann aber auch eine Art Prokrastination darstellen: Wo eigentlich Handeln geboten wäre und konkrete Diversitätsmaßnahmen entwickelt werden müssten, werden stattdessen Studien beauftragt, die etwas zeigen sollen, das eigentlich schon längst klar ist.
Quantitative Diversitätsdaten können erst auf der Metaebene und in der Langzeitperspektive wirklich Nutzen entfalten. So zeigen sie im Idealfall die Ungerechtigkeitsgefälle und die Potenziale oder Stärken in ganzen Bereichen. Beispielsweise wäre eine Erhebung über die gesamte deutsche Kulturlandschaft hinweg ein ambitioniertes Unterfangen, das Informationen zu genau diesen Fragen liefern würde.
Eine solche Datenerhebung regelmäßig zu etablieren, die etwa alle zwei bis vier Jahre unternommen würde, wäre ein guter Indikator über die Entwicklungen und hoffentlich auch Fortschritte in diesem Bereich.
Joshua Kwesi Aikins, Sophie Ali Bakhsh Naini, Daniel Gyamerah, Lucienne Wagner, Deniz Yıldırım Caliman (2020): Citizens For Europe. Vielfalt entscheidet – Diversity in Leadership. Mit Datenerhebung Veränderungen anstoßen. Für einen gerechteren Kulturbetrieb. (letzter Zugriff am 10.04.2025)
Joshua Kwesi Aikins, Naomi Bechert, Daniel Gyamerah, Lucienne Wagner (2016): Berliner Erfahrungen, Berliner Erwartungen: Auf dem Weg zum diversen Kulturbetrieb. Fokusgruppengespräche mit Nicht-Besucher*innen und Nicht-Akteur*innen. Diversity Arts Culture. (letzter Zugriff am 10.04.2025)
Andreas Ette, Martin Weinmann, Norbert F. Schneider (2021): Kulturelle Diversität in der öffentlichen Verwaltung in Deutschland: Forschungsstand, Theorien und Forschungsfragen. In: Andreas Ette, Sophie Straub, Martin Weinmann, Norbert F. Schneider (Hg.): Kulturelle Vielfalt der öffentlichen Verwaltung. Beiträge zur Bevölkerungswissenschaft 55. Opladen, Berlin, Toronto: Barbara Budrich: S. 19–41.
Birgit Mandel (2020): Theater in der Legitimationskrise? Interesse, Nutzung und Einstellungen zu den staatlich geförderten Theatern in Deutschland – eine repräsentative Bevölkerungsbefragung. Universitätsverlag Hildesheim. (letzter Zugriff am 28.04.2025)
Régine Rodriguez, Pierre Bourdieu, Alain Darbel (1967): L'Amour de l'Art: les musées et leur public, Paris, Éditions de Minuit. In: L'Homme et la société 3: S. 220-222.
Gabriele Schulz, Olaf Zimmermann (2020): Frauen und Männer im Kulturmarkt. Bericht zur wirtschaftlichen und sozialen Lage. Deutscher Kulturrat. (letzter Zugriff am 10.04.2025)
Sabrina Zajak, Maryam Rutner, Caroline Assad, Sophia Aalders, Ana-Maria Nikolas, Jessica Seiler (2023): Vielfalt in der Förderung: Diversität in den Förder- und Kooperationsstrukturen der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. DeZIM Project Report 7, Berlin: Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM).
Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestags (2023): Datenlage zu kultureller Teilhabe und Besucherforschung. (letzter Zugriff am 10.04.2025)
Citizens for Europe (2016): Handlungsoptionen zur Diversifizierung des Berliner Kultursektors. (letzter Zugriff am 10.04.2025)
ver.di: Informationen zur sozialen und wirtschaftlichen Lage von Künstler*innen und Kulturschaffenden (letzter Zugriff am 10.04.2025)
Institut für Museumsforschung: Projekt „Materialisierung des Immateriellen im Museum“ zur Rolle von Museen bei der Bewahrung, Vermittlung und aktiven Weiterentwicklung von immateriellem Kulturerbe, inkl. Datenerhebungen (letzter Zugriff am 10.04.2025)
Institut für Museumsforschung: Materialsammlung zu Erhebungen und Daten (letzter Zugriff am 10.04.2025)
Statistisches Landesamt Baden-Württemberg: Kultur. (letzter Zugriff am 17.04.2025)
Nora Wegner, Tom Schößler (2019): Evaluation des freien Eintritts in Dauerausstellungen für die baden-württembergischen Landesmuseen und das ZKM | Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe. Im Auftrag des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg. Ergebnisbericht. (letzter Zugriff am 10.04.2025)
Achim Müller (2020): Befragungen von Besucher*innen am Badischen Staatstheater Karlsruhe. Karlsruhe. (letzter Zugriff am 10.04.2025)
Die Charta der Vielfaltund ihre Umsetzung in der Landesverwaltung Baden-Württemberg. (letzter Zugriff am 17.04.2025)
Statistisches Bundesamt: Bundesweite Kulturstatistik im Auftrag der Kultusministerkonferenz (KMK) und der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) (letzter Zugriff am 10.04.2025)
Deutscher Bühnenverein: Theaterstatistik (letzter Zugriff am 10.04.2025)
Amt für Statistik Berlin-Brandenburg: Berliner Kulturdaten (letzter Zugriff am 10.04.2025)
Publikumsbefragungen von KulMon des Instituts für Kulturelle Teilhabeforschung (IKTf) (letzter Zugriff am 10.04.2025)
Arts Council UK: Diversity Data (letzter Zugriff am 10.04.2025)
Department for Culture, Media and Sport, UK (2016): Taking Part focus on: Diversity. (letzter Zugriff am 10.04.2025)
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