Autorin: Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss
Kulturelle Bildung bezeichnet die Beschäftigung des Menschen mit ästhetischen und kunstförmigen Gegenständen. Sie kann beispielsweise in den Sparten Musik, Tanz und Theater, Literatur, digitale Medien, Bildende Künste, Architektur oder auch in soziokulturellen und alltagsästhetischen Praktiken stattfinden.
Dabei kann man unterscheiden zwischen einer rezeptiven Beschäftigung, das heißt einer wahrnehmenden und einer produktiven, das heißt aktiv gestaltenden Auseinandersetzung. Kulturelle Bildung ist kein mit dem Kindes- und Jugendalter abgeschlossener Prozess, sondern dauert das ganze Leben an. Im Modus der Kulturellen Bildung nehmen wir uns und unsere Umwelt bewusst wahr und werden aufgefordert und ermutigt, unser Leben und die Gesellschaft aktiv zu gestalten.
Pädagogische Leitprinzipien einer Kulturellen Bildung sind beispielsweise Selbstwirksamkeitserfahrungen, Stärkenorientierung, Partizipation, Anerkennung und Vielfalt; ästhetische Leitprinzipien sind Leiblichkeit, sinnliche Erfahrungen, Prozesssensibilität, Vielschichtigkeit der Interpretation, aber auch Enthusiasmus oder Erschütterung. Kulturelle Bildung lässt uns nicht kalt. Im ästhetischen Tun lassen wir uns berühren, sind wir mit Haut und Haaren dabei und entfalten viele unserer menschlichen Potenziale. Daher ist Kulturelle Bildung ein wichtiger Teil der Allgemeinbildung.
Kulturvermittlung ist die andere Seite der kulturellen Bildungsmedaille. Sie beschreibt, welche Rahmenbedingungen, Methoden oder Prozesse notwendig sind, um kulturelle Bildungserfahrungen beim Individuum entstehen zu lassen.
Kulturelle Vermittlung versucht, Kultureller Bildung einen Rahmen zu geben und diese dadurch zu initiieren. Das heißt aber nicht, dass Kulturelle Bildung nicht auch ohne Kulturelle Vermittlung passieren kann – sie macht sie nur wahrscheinlicher und institutionell greifbar. Kulturelle Vermittlung passiert häufig im non-formalen Bildungsbereich, d.h. in Angeboten von Kultureinrichtungen und kulturpädagogischen Einrichtungen wie Museen, Konzerthäusern oder Theater, (Jugend-)Kunstschulen, Musikschulen, Tanzschulen, Medienzentren oder soziokulturellen Einrichtungen.
Über Angebote der Kulturvermittlung erhalten wir die Möglichkeit, angeleitete Prozesse Kultureller Bildung zu erfahren. Das hat wichtige Wirkungen:
Durch eine nicht allein kognitive, sondern sinnliche, ästhetische und schöpferische Auseinandersetzung mit unterschiedlichsten Themen werden Menschen aufgefordert, sich ihre eigene Meinung zu bilden und Gesellschaft mitzugestalten.
Orte Kultureller Bildung wie Kultureinrichtungen und kulturpädagogische Einrichtungen tragen zur Reflexion der eigenen Haltung und Biografie sowie zur partizipativen Einmischung in gesellschaftliche Prozesse bei. Sie bilden einen gesellschaftlichen und im besten Fall demokratischen Aushandlungs- und Diskursraum ab, der es allen Menschen ermöglicht, ihren Interessen, Vorstellungen und Ideen Ausdruck zu verleihen.
Dies gelingt allerdings nur, wenn diese Einrichtungen so offen sind, dass sie alle Menschen potenziell ansprechen und für Alle zugänglich sind. Das Erleben von positiven kulturellen Bildungsprozessen sowie Kulturvermittlung kann unterstützend dazu beitragen, dass Kulturelle Teilhabe gelingt. Eine attraktive Kulturvermittlung schafft Anlässe, überwindet Nutzungsbarrieren und ist damit Wegbereiterin gelingender Kultureller Teilhabe.
In Schulen findet – wenn überhaupt – eine eher rezeptive Kulturelle Bildung statt; die kulturelle Schulentwicklung steckt in Deutschland vielfach noch in den Kinderschuhen. Das heißt, dass nicht alle Menschen nach Ende der Schulzeit und im weiteren Leben die Möglichkeit hatten, an Kulturvermittlungsprozessen aktiv teilzuhaben. Zudem haben statistisch gesehen Menschen mit höherem Bildungsabschluss und sozio-ökonomischen Status eine höhere Wahrscheinlichkeit, an kulturellen Bildungsangeboten teilzunehmen.
Da jeder Mensch ein Recht darauf hat, am kulturellen Leben der Gesellschaft teilzuhaben (Allgemeine Erklärung der Menschenrechte §27), und da viele Kulturinstitutionen durch Steuergelder subventioniert sind, ist es eine Pflicht mindestens dieser Einrichtungen, kulturelle Zugänge für alle Bevölkerungsschichten sicherzustellen. Hierfür und um breitere Bevölkerungsschichten zu erreichen sowie Bildungsgerechtigkeit und Kulturelle Teilhabe zu fördern, braucht es eine größere Investition in Maßnahmen der Kulturvermittlung und in Angebote Kultureller Bildung im formalen (Schulen und Kindertagesstätten) sowie non-formalen (Kultur- und kulturpädagogische Einrichtungen) Bereich.
Kultur- und bildungspolitisch sind in Deutschland vor allem die Länder und Kommunen für die Ausgestaltung kultureller Bildungslandschaften zuständig. Eine kommunale, kulturelle Bildungslandschaft ist dann gegeben, wenn es vielfältige Netzwerkverbindungen zwischen Kultur-, Bildungs- und kommunalen Einrichtungen gibt, die aufeinander verweisen und miteinander kooperieren. Es braucht vernetzte Orte und Räume, in denen Menschen unterschiedlichster Herkünfte und Milieus zusammenkommen und diese aktiv mitgestalten können. Solche Orte können Bibliotheken, Theater und Museen oder auch soziokulturelle Einrichtungen, aber auch Schulen und Hochschulen, Freizeit- und Sportzentren oder die Feuerwehr sein.
Lebendige Beziehungen zwischen den fachlichen Akteur*innen in diesen Einrichtungen und den Besucher*innen sind die Grundlage für umfassende Teilhabe. Hierzu müssen Akteur*innen Kultureller Bildung laufend qualifiziert werden, und es braucht ausreichend zeitliche und finanzielle Ressourcen, um Vertrauen und Netzwerke aufzubauen. In staatlich geförderten Kultureinrichtungen sollte es eine Fördervorgabe sein, dass ein bestimmter Anteil des Budgets in Maßnahmen der Kulturellen Bildung und Kulturvermittlung fließen, und dass das Vermittlungspersonal auch auf künstlerische Entscheidungen weitreichend Einfluss nehmen kann.
Staatliche Investitionen in kulturelle Bildungsangebote und -strukturen dienen nicht nur einer umfassenden Kulturellen Teilhabe aller Menschen. Sie sind auch einer der Grundpfeiler einer demokratischen und zur Transformation fähigen Gesellschaft.
Gerade im Moment brauchen wir Kulturelle Bildung daher dringend.
Hier finden Sie einige Anregungen zum Nachhören, wie man sich dem Thema Kulturelle Bildung und Kulturvermittlung nähern kann:
Einige Beiträge zu unterschiedlichen Aspekten im Themenfeld Kulturelle Bildung – Kulturvermittlung – Kulturelle Teilhabe:
Das Thema Kulturelle Bildung ist Gegenstand zahlreicher Online-Plattformen. Hier einige besonders einschlägige:
Sabine Dengel, Thomas Krüger (2019): Partizipation – Anspruch und Herausforderung für die Bildungskonzeptionen politischer und Kultureller Bildung. In: KULTURELLE BILDUNG ONLINE (letzter Zugriff am 11.08.2023).
Bettina-Maria Gördel (2021): Kulturelle Bildung an Schulen – Ergebnisse einer explorativen Interviewstudie in NRW. In: KULTURELLE BILDUNG ONLINE (letzter Zugriff am 11.08.2023).
Birgit Mandel (2014): Kulturelle Teilhabe: Kulturelle Bildung für mehr Kulturpublikum? In: KULTURELLE BILDUNG ONLINE (letzter Zugriff am 11.08.2023).
Birgit Mandel (2018): Kulturvermittlung in klassischen Kultureinrichtungen: Ambivalenzen, Widersprüche und Impulse für Veränderungen. In: KULTURELLE BILDUNG ONLINE (letzter Zugriff am 11.08.2023).
Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss (2013/2012): Künstlerische Bildung – Ästhetische Bildung – Kulturelle Bildung. In: KULTURELLE BILDUNG ONLINE (letzter Zugriff am 11.08.2023).
Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss (2023): Kulturelle Bildung und gesellschaftliche Transformation. Eine Zustandsbeschreibung. In: KULTURELLE BILDUNG ONLINE (letzter Zugriff am 11.08.2023).
Thomas Renz (2016): Nicht-BesucherInnen öffentlich geförderter Kulturveranstaltungen. Der Forschungsstand zur kulturellen Teilhabe in Deutschland. In: KULTURELLE BILDUNG ONLINE (letzter Zugriff am 11.08.2023).
Kristina Stang (2017): „Kultureinrichtungen öffnet euch.“ Kooperationen für mehr Perspektiven. In: KULTURELLE BILDUNG ONLINE (letzter Zugriff am 11.08.2023).
Aktuell (2023) engagieren sich mehrere Verbände, Bündnisse und Gewerkschaften für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Berufstätigen im Feld der Kulturellen Bildung. Hier einige weiterführende Informationen dazu:
Stellungnahme des Deutschen Kulturrates zu besseren Rahmenbedingungen für Fachpersonal in der Kulturellen Bildung vom 23.03.2023 (PDF zum Download)
Gewerkschaft ver.di: Schwerpunkt Kulturelle Bildung im Bereich Kulturpolitik (letzter Zugriff am 18.12.2023)
Das Bündnis für eine gerechte Kunst- und Kulturarbeit, Baden-Württemberg (letzter Zugriff am 18.12.2023)
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